Die guten Seiten der Krise?

Seit mehreren Wochen wirken sich die Maßnahmen, welche die weitere Ausbreitung des neuartigen Corornaviruses eindämmen sollen, auf den Alltag der Konstanzer Bürgerinnen und Bürger aus. In den letzten Blogbeiträgen berichteten wir von den Herausforderungen, mit denen sich die Befragten aus Konstanz konfrontiert sehen. Trotzdem sehen viele nicht nur die Nachteile der Coronakrise, sondern können der aktuellen Situation auch etwas Positives abgewinnen.

In der Corona-Befragung der Konstanzer Bürgerbefragung hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, zu drei Themen offene Angaben einzutragen: genutzte Webseiten zur Information in der Krise, mögliche gute Seiten des Ausnahmezustands und Ideen zur Gestaltung der lokalen Situation in Konstanz. Solche offenen Nennungen bieten sich an, wenn mögliche Antworten auf Fragen sehr unterschiedlich ausfallen und wenn man eine Lenkung der Antworten durch vorgegebene Kategorien vermeiden möchte. Zu berücksichtigen ist, dass die Befragten bei der Beantwortung offener Fragen eine höhere kognitive Belastung haben als bei der Verwendung vorgegebener geschlossener Kategorien. Dies führt dazu, dass vornehmlich besonders an der angesprochenen Thematik interessierte Personen die Gelegenheit zur Antwort auf offene Fragen nutzen. In einer Online-Umfrage müssen sie dazu eigenhändig Text in eigenen Worten eingeben (beziehungsweise in seltenen Fällen durch Spracherkennungssysteme einsprechen). Dementsprechend sind erhaltene Antworten auch formal sehr unterschiedlich: Stichworte, ganze oder unvollständige Sätze, die Verwendung von Abkürzungen, uneinheitliche Rechtschreibung etc.

Somit ist auch die Auswertung von offenen Fragen aufwändiger als bei geschlossenen Antwortvorgaben. Für die nachfolgenden Analysen der offenen Antworten nutzen wir teilautomatisierte Tools der computergestützten Textanalyse (Bird et al. 2009; Jo 2019; Manning et al. 2008; Mitkov 2005). Die Analyse erfordert zunächst ein pre-processing, etwa sind Schreibweisen zu vereinheitlichen und offensichtliche Rechtschreibfehler zu korrigieren oder informationslose Füllwörter zu entfernen. Anschließend können entweder einfache oder auch eher komplexe Auswertungsinstrumente auf die Daten angewendet werden. Für das Thema möglicher Informationsquellen zur Corona-Situation wurden einfache Frequenzanalysen (Häufigkeitsauszählungen) eingesetzt, während bei den Assoziationen der Befragten zu möglichen positiven Folgen der Krise und lokal gewünschten Maßnahmen zusätzlich komplexere Instrumente des topic modeling zum Einsatz kamen (Roberts et al. 2014). Dabei werden auf Basis überdurchschnittlich häufig zusammen auftretender Begriffe automatisch wichtige Themen aus einem Textkorpus extrahiert. Anhand der Ergebnisse des topic models wurden die vorherrschenden Kategorien benannt und ihnen Schlüsselbegriffe zugeordnet. Bei der Darstellung der Ergebnisse verwenden wir zwei Arten von Grafiken:  Der erste Grafiktyp ist ein Balkendiagramm mit den relativen Häufigkeiten der am meisten genannten Begriffe beziehungsweise, welches auch die entsprechende Kategorie des Begriffs enthält. Die zweite Art von Darstellung ist eine word cloud, die alle Nennungen berücksichtigt und durch die optische Größe der Darstellung ihre Häufigkeit relativ zu den jeweils anderen Nennungen vermittelt (Bateman et al. 2008). Durch die word clouds erkennt man schnell, wie stark die Antworten variieren und welche offenen Nennungen nur mittlere oder geringe Prävalenz erzielen. Farben dienen in der word cloud nur der einfacheren Abgrenzung einzelner Begriffe, während sie im Balkendiagramm die Zugehörigkeit zu einer Kategorie abbilden. Beide Auswertungsverfahren werden nachfolgend zu einer illustrativen Beschreibung der Lage eingesetzt.

Solide Information statt spekulativer Diskussion in sozialen Medien

Die möglichen Informationsquellen im Internet zur Entwicklung der Corona-Pandemie wurden in der ersten offenen Frage erhoben. Die Frage lautete: „Welche Webseiten nutzen Sie, um sich über die Corona-Situation zu informieren?“ Von allen befragten Personen, die Informationen aus dem Internet beziehen (dies waren 96 % aller Befragten), gab etwa die Hälfte an, welche Webseiten sie für ihren Informationsbedarf zur Corona-Situation nutzt. Oft wurden mehrere Quellen genannt. Die nachfolgenden Auswertungen sind nur auf die Nennungen von Webseiten bezogen. In grün markiert sind in Abbildung 1 die Webseiten mit lokalen Inhalten, also Angebote der lokalen Tageszeitung, der Stadt und des Landratsamts.

Insgesamt steht das staatliche Robert Koch-Institut mit über 30 % der Nennungen an erster Stelle der Informationsquellen – gefolgt von den Webseiten des Spiegel und der Tagesschau. An vierter Stelle nennen die Befragten die Webseite der Lokalzeitung (Südkurier). Das Angebot der Stadt Konstanz ist ebenso im oberen Drittel der Nennungen. Beachtlich ist, dass auch ein Spezialangebot zur Coronakrise, der bei NDR Info erscheinende Podcast des Virologen Christian Drosten, eine der am häufigsten genutzten Informationsquellen darstellt. Insgesamt belegt die Übersicht in Abbildung 2, dass die Befragten Qualitätsjournalismus und staatlich-behördliche Quellen bevorzugen. Webseiten, die sich mehr oder weniger stark gegen sog. Mainstream-Medien wenden, finden sich in der Aufstellung der häufigsten Quellen gar nicht und auch in der word cloud nur zu äußerst geringen Anteilen. Gesondert von der offenen Angabe konnten die Befragten ihre Nutzung der sozialen Medien Facebook, Twitter und Instagram angeben. Die Frage lautete: „Verfolgen Sie darüber hinaus, was in den sozialen Medien berichtet und kommentiert wird?“ Diese Plattformen werden in dieser Zeit lediglich von einer Minderheit genutzt, um sich zusätzlich zum Abrufen von Webseiten auf dem Laufenden zu halten. Zwei Drittel nutzen Facebook gar nicht, fast 80 % nutzen Instagram gar nicht. Am wenigsten nutzen die Befragten den Nachrichtendienst Twitter (etwa 10 %). In Übereinstimmung zum allgemein berichteten großen Vertrauen in die Exekutive1 als ein Kennzeichen der Krise zeigt sich, dass die Menschen überwiegend als verlässlich anzusehende Internetquellen und nur zurückhaltend soziale Medien nutzen, um sich zur Corona-Situation zu informieren.

Entschleunigung ist die gute Seite von Corona

In abschließenden Fragen wurde ermittelt, ob die Befragten neben den großen Belastungen durch die Kontaktbeschränkungen auch positive Aspekte der Coronakrise wahrnehmen. Tabelle 1 enthält zunächst die Verteilung der Zustimmung zu der Aussage: „Manche Leute sagen, die Coronakrise habe auch ihr Gutes". Ein erheblicher Anteil der Befragten kann der Corona-Situation auch Positives abgewinnen, auch wenn nur 7 % den guten Seiten voll und ganz zustimmen.

Bezieht man die Antworten zur Mittelkategorie „teils, teils“ mit ein, dann sehen beinahe zwei Drittel der Befragten auch positive Seiten an der Krise. Wenig überraschend nimmt die Zustimmung mit steigendem Alter der Befragten ab, aber immerhin stimmen noch knappe 60 % der über 60-jährigen Befragten zumindest teilweise zu. Alle über 900 Befragten, die zumindest teilweise zustimmen, hatten Gelegenheit, offen anzugeben, in welche Richtung ihre Überlegungen gehen. Insgesamt liegen 824 offene Angaben dazu vor. Die sehr hohe Beteiligung an dieser offenen Frage ist ein guter Beleg für deren hohen Relevanz für die Befragten. Die allermeisten Befragten haben über diese Aspekte nachgedacht und waren bereit, ihre Ansichten mitzuteilen.

In den untenstehenden Grafiken finden sich die häufigsten positiven Assoziationen (Abbildung 3) sowie die entsprechende word cloud (Abbildung 4). Die durch die Inhaltsanalyse zusammengefassten Nennungen lassen sich in fünf Gruppen kategorisieren, die unterschiedliche Bereiche ansprechen: Entschleunigung, Umwelt, Beruf, Solidarität und Familie. Einige weitere häufig genannte Begriffe, welche keiner der Kategorien entsprechen oder nicht eindeutig zuzuordnen sind, werden in der Grafik in die Residualkategorie „Sonstiges“ sortiert. Man erkennt sehr klar, dass die Entschleunigung durch die Corona-Situation von beachtlich vielen Befragten als positiver Aspekt erlebt wird. Nimmt man alle thematisch zuzuordnenden Begriffe zusammen, geben ein Drittel der Befragten, die zumindest teilweise etwas Gutes in der Krise sehen, Begriffe an, die dem Bereich Entschleunigung zuzuordnen sind, etwa Besinnung oder Zeit. Ebenfalls deutlich sind Häufungen in den Bereichen Umwelt (mit den positiven Folgen für Klima und Natur) und Solidarität (mit den Begriffen Zusammenhalt, Gesellschaft und Wertschätzung). Die positiven Aspekte im Hinblick auf die Familie sind weniger prominent, aber noch deutlich sichtbar. Auf die Berufs- und Arbeitswelt bezogen sind vor allem die Nennungen zur Digitalisierung, die von einer noch sichtbaren Minderheit geteilt werden.

Die word cloud zu den positiven Aspekten der Coronakrise bestätigt die dargestellten Ergebnisse aus der Frequenzanalyse, gibt aber einen umfassenderen Einblick. Hier finden sich nun weitere Begriffe wie Gesundheitswesen, Bewusstsein, Ruhe und Globalisierung. Zusätzliche Auswertungen ergeben, dass Umweltaspekte sowie die Digitalisierung deutlich häufiger von jungen Befragten genannt werden als von älteren Menschen, während für die anderen Aspekte die Nennungen weniger stark mit dem Lebensalter der Befragten zusammenhängen. 

Vielfältige Ideen zur lokalen Situation

Die dritte offene Frage bezog sich auf Anregungen, die im lokalen Kontext der Stadt Konstanz umgesetzt werden könnten, um die Corona-Situation vor Ort besser zu bewältigen. Die Fragestellung nahm konkret die Lage in der Stadt Konstanz in den Fokus: „Zur Abmilderung der Auswirkungen des Coronavirus gibt es bereits eine Reihe von Maßnahmen, die auch in der Stadt Konstanz und im Landkreis angeboten werden. Dazu gehören beispielsweise Notfallbetreuung von Kindern mit Eltern in systemrelevanten Berufen oder Hilfen und Aktionen für Kulturschaffende. Welche Maßnahmen würden Sie darüber hinaus noch vorschlagen?“. Insgesamt haben knapp 40 % der Befragten hierzu Vorschläge eingebracht.

Wie die Abbildungen 5 und 6 veranschaulichen, dominieren Begriffe, die mit konkreter Unterstützung und Hilfe zu tun haben. Familien und Kinder werden ebenfalls oft erwähnt. Weitere Begriffe sind berufsbezogen beziehungsweise verweisen auf besondere Risikogruppen sowie die Situation des lokalen Handels. Wiederum zeigt die word cloud die ganze Breite der geäußerten Ideen, die an die Stadt Konstanz weitergeleitet wurden.

Offene Fragen in Surveys können, wie die hier gezeigten einfachen Auswertungen bestätigen, interessante Einblicke in die Wahrnehmungen der Befragten eröffnen – etwa die Assoziationen zu den positiven Aspekten der Coronakrise.

Zusammengefasst

Die Verwendung von offenen Fragen in der Sonderausgabe der Konstanzer Bürgerbefragung zur Corona-Situation ergab eine hohe bis sehr hohe Akzeptanz: Die Befragten gaben immerhin zu 48 % an, welche Internetquellen sie zur Information über die Coronakrise nutzen, und 40 % äußerten Ideen zu lokalen Maßnahmen, um die Krise besser zu bewältigen. Die stärkste Resonanz fand die offene Frage nach den guten Seiten der Krise, die von 90 % derjenigen Befragten, die aus der Krise auch positive Seiten ableiten, beantwortet wurde. Dies waren immerhin 56 % aller Befragten. Die zwei prägnantesten Ergebnisse lauten: (1) Eine überwiegende Mehrheit der Befragten nutzt sog. Mainstream-Medien für die Informationsbeschaffung zur Corona-Situation, was deren hohe Vertrauenswürdigkeit unterstreicht. (2)  Als positive Seite der Krise wurde vor allem die Entschleunigung modernen Lebens genannt.

Referenzen

Bateman, S., Gutwin, C. & Nacenta, M. (2008). Seeing things in the clouds: the effect of visual features on tag cloud selections. Proc. 19th ACM Conf. Hypertext and Hypermedia, HT '08:193-202.

Bird, S., Klein, E. & Loper, E. (2009). Natural Language Processing with Python – Analyzing Text with the Natural Language Toolkit. Beijing: O‘Reilly.

Jo, T. (2019). Text Mining: Concepts, Implementation, and Big Data Challenge. Cham: Springer International Publishing.

Manning, C. D., Raghavan, P., & Schütze, H. (2008). Introduction to Information Retrieval. Cambridge: Cambridge University Press.

Mitkov, R. (2005). The Oxford Handbook of Computational Linguistics. Oxford: Oxford University Press.

Roberts, M. E., Stewart, B. M., Tingley, D., Lucas, C., Leder‐Luis, J., Gadarian, S. K., Albertson, B. & Rand, D. G. (2014). Structural Topic Models for Open‐Ended Survey Responses. American Journal of Political Science, 58: 1064-1082.

1 https://yougov.de/news/2020/03/31/massnahmen-der-krise-vertrauen-die-deutsche-regier/, https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/index.html (beide abgerufen am 21.04.20)